Das ist unser Haus
Demo gegen den US-Außenminister Alexander Haig am 13. September 1981 in Berlin. An den militanten Anti-Kriegs-Protesten nahmen auch Nürnberger Hausbesetzer*innen teil.
Foto: Michael Kipp/Umbruch Bildarchiv
Gespräche mit Zeitzeug*innen: Ute
"Für eine bessere Welt kämpfen"
Wie kamst du denn zur Hausbesetzungsszene?
Ute: Ich kannte jemanden, der bei der Besetzung in der Johannisstraße (70) dabei war, war natürlich sehr neugierig und bin dann zu Besuch im Haus gewesen.
Ich glaube, es hat jemand über das Buch „Der Herr der Ringe“ erzählt und war total begeistert.
Und ich fand es super spannend, dass so viele Leute in diesem einen Haus wohnten, alles gemeinsam gemacht haben. Fand ich damals wirklich Klasse.
Du fandest es gut, dass sie es zusammen instand gesetzt haben?
Ute: Ja, genau. Und dass es aus der Bevölkerung ganz viel Unterstützung gab. Dass die Leute alte Möbel gebracht haben.
Hattest du denn zu der Zeit bereits einen politischen Hintergrund?
Ute: Ich war bei den Falken, hatte eine Kindergruppe dort und habe da verschiedenes an Jugendgruppen erlebt, an politischer Bildung, hatte Zeltlager mitgemacht.
Welche Rolle spielte Politik für deine Eltern?
Ute: Uns Kindern gegenüber wurde eigentlich nichts gesagt. Aber später in den Diskussionen haben sie dann ganz viel aus ihrer eigenen Jugend erzählt und was sie alles so gemacht haben. Mein Vater hat gegen die Wiederbewaffnung demonstriert und Straßen blockiert unter anderem.
Was hat dich an der Hausbesetzungsbewegung fasziniert?
Ute: Ich fand diese Idee des Häuserbesetzen total Klasse: Man geht in ein leerstehendes Haus und kann dann in einer Form leben, die man möchte, in einer großen Kommune oder einem großen Kollektiv.
Nach der Räumung (der Johannisstraße 70) war ich bei vielen Demos und irgendwann war ja dann diese Räumung des KOMM. Da war ich fünf Tage im Gefängnis und das war für mich nochmal so ein Wendepunkt.
Ich war da erst 17, bin glücklicherweise nach fünf Tagen wieder raus gekommen und hatte das für mich ganz Wichtige: Ich will dafür kämpfen, dass es keine Gefängnisse mehr gibt und für ein anderes, besseres Leben und habe dann angefangen zu gucken, was gibt es denn noch? Wo gibt es denn noch überall besetzte Häuser? Ich war dann in Berlin und völlig begeistert von dem, was da alles war.
Ich hatte zu einem Haus im Wedding ganz viel Kontakt, bin dann da regelmäßig hingefahren, hatte auch überlegt, nach Berlin zu ziehen und dann aber entschieden: Nein, ich bleibe in Nürnberg, weil Nürnberg hat noch nicht so viele Menschen, die Häuser besetzen.
Nochmal zurück zur Frage, was dich persönlich bewegt hat damals...
Ute: Ein Grundmotiv war der Wunsch für eine bessere Welt zu kämpfen, in der es mehr Gerechtigkeit gibt und mehr Möglichkeiten für alle.
Und ich glaube, für mich persönlich war das Modell der Kleinfamilie nicht das, was ich leben wollte, sondern eher etwas mit Vielen gemeinsam zu machen.
Wie war euer Lebensgefühl? Es gab eine Menge Slogans der Szene damals: Z.B.. „Schade, dass Beton nicht brennt“ ….
Ute: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“…. „Keine Macht für niemand.“
Hast du dich denn als Anarchistin verortet?
Ute: Auf jeden Fall in diese Richtung. Keine Macht für niemand. Ja.
Du warst ja betroffen von den Massenverhaftungen am 5. März 1981. Was sind deine Erinnerungen?
Ute: Da war ja die Veranstaltung im KOMM mit dem Film aus Holland von den Kraakern (Instandbesetzer*innen in den Niederlanden). Wir sind danach halt raus. Man ist durch die Straße gezogen, hat wahrscheinlich Parolen gerufen, an die ich mich jetzt nicht erinnere.
Vielleicht: „Berlin, Zürich, Amsterdam, jetzt fängt's auch in Nürnberg an“?
Ute: Ja, ja, das könnte sein. Ja, genau.
Und dann haben Scheiben geklirrt?
Ute: (lacht..) Stimmt, da war was. Da flog so ein Stein gegen eine Scheibe und der kam zurück. Daran, dass ich Angst hatte vor dem Stein, der da zurückkam, erinnere ich mich genau.
In der Königsstraße hat die Demo geendet und hat sich aufgelöst. Ich glaube, es waren noch Leute vor dem KOMM. Manche sind dann wieder rein und manche raus.
Und du?
Ute: Also ich bin reingegangen und dann hieß es: Die Polizei hat das KOMM umstellt. Eine Freundin aus meiner Schule war mit dabei. Die hat gesagt „Oh Gott, ich habe keinen Ausweis dabei. Ich kann da nicht rausgehen“. Weil es hieß, es darf niemand mehr raus, der nicht einen Ausweis vorzeigt.
Da habe ich gesagt: „Okay, ich bleibe mit dir. Da schauen wir mal, was passiert.“
Ich weiß, dass Leute rausgegangen sind, heimgefahren sind und gesagt haben: Ich zeige jetzt meinen Ausweis und geh nach Hause.
Und du hattest wohl auch keinen Ausweis?
Ute: Ich hatte einen Ausweis dabei, aber ich bin eben aus Solidarität mit da geblieben.
Wir waren ziemlich lange im Festsaal gesessen. Es gab jemanden, der gesagt hat, was wir bei der Polizei sagen sollen und was wir nicht sagen sollen, bzw. welche Rechte wir haben und dass wir das Recht haben zu telefonieren und all so was. Das erinnere ich.
Dann haben sie alle in Polizeibusse geladen und auf die Polizeiwache. Da waren wir in einer Zelle mit über zehn Leuten. Letztendlich haben sie uns dann irgendwann in so einen großen Bus verfrachtet Richtung München.
Du warst dort mit siebzehn Jahren fünf Tage in U-Haft. Was waren deine Eindrücke?
Ute: An den Wänden standen viele Sachen. Die habe ich gelesen. Auf der einen Seite war ich erschreckt … wütend … Und auf der anderen Seite war ich total neugierig: Was sind hier noch für Menschen? Wie ist das, hier im Gefängnis zu sein? Also es war ein Stück weit auch eine Erfahrung für mich. Auch beim Hofgang dann zu gucken: Wer ist denn da?
Ich habe dann die da waren angesprochen, sie gefragt, warum sie im Gefängnis sind. Ja, es war für mich etwas Interessantes, Spannendes. Was sind das für Menschen?
Es war wirklich damals so, dass ich gedacht habe: ‚Nee, also ich finde Gefängnis total schrecklich und nicht Mittel der Wahl, um jemanden zu disziplinieren‘ und hatte mir dann zum Ziel gesetzt: Ich will, dass es keine Gefängnisse mehr gibt.
Als du raus gekommen bist, was war da?
Ute: Wir kamen dann wirklich pünktlich zur Großdemo an. Von SPD-Stadträtin Renate Schmidt habe ich Geld gekriegt, damit ich meine Eltern anrufen kann, die dann auch dahin kamen. … Ja, das fand ich schon sehr beeindruckend. Auch dass so viele Menschen wegen uns da demonstrieren, fand ich gut.
Für mich war es aber dann wirklich so, dass ich gesagt habe danach: Ich will jetzt einfach sehen, was gibt es noch? Ich wurde kurz danach achtzehn und war in Berlin. Wir sind da aus dem Zug ausgestiegen und über den Kudamm gelaufen. Da habe ich dann gemerkt, was für eine Wut ich eigentlich habe. Der ganze Kudamm war in Scherben, weil nachts eine Demo da durchgezogen ist, weil Sigurd Debus beim Hungerstreik gestorben ist. Da habe ich gemerkt, wie meine Wut ein Ventil findet über diese Demo und ich dachte ‚Wow, ist das genial‘.
Wir haben dann da auch besetzte Häuser aufgesucht und mit Leuten geredet.
Du warst auch an anderen großen sozialen Bewegungen in den 80ern beteiligt. Erinnerst du dich an deine Aktivitäten damals?
Ute: Also es war erst mal die Hausbesetzerbewegung und dann später noch die Anti-AKW-Bewegung. Auch „Dritte Welt“-Arbeit, Informationsarbeit.
Aus Berlin erinnere ich mich: da war eine ziemlich große Demo und da gab es Einkesselungen und ein Hin und Her. Und ich erinnere mich, dass die Leute auf die Wasserwerfer Steine geworfen haben und dann manchmal drüber geworfen haben, sich gegenseitig beworfen haben sozusagen.
Zurück zu Sigurd Debus (dessen Tod beim Hungerstreik der RAF-Gefangenen im April 1981 massive Proteste auslöste): Ich wollte dann auch wissen. Was ist das? Was machen die Leute? Wo geht es da hin? Ich war in Stammheim beim (RAF-)Prozess. Ich war damals so neugierig und wollte erst mal wissen: Was haben die zu sagen? Was machen sie?
Und habe festgestellt, dass es von Seiten des Staates eine Repression gab, die mich dann also in eine Richtung gedrängt hat. Also ich begann gerade mich damit auseinanderzusetzen und wurde dann in eine Ecke gestellt, in der ich eigentlich gar nicht war.
Und später glaube ich, hat es sich dann umgedreht, wo ich gesagt habe: ‚Na, ich bin aber genau das.‘
Die Rolle, die dir zugewiesen wurde ...
Ute: … die habe ich dann genommen: Also ich bin der böse Staatsfeind.
Du hast dann im Olaf-Ritzmann-Haus gewohnt, das bei Verhandlungen mit der Stadt den Besetzerinnen der Johannisstraße 70 zugesichert wurde.*
Ute: Nachdem ich entschieden hatte in Nürnberg zu bleiben, habe ich im Olaf-Ritzmann-Kollektiv gefragt, ob ich mit einziehen kann, und bin dann da mit eingezogen: In eine große Baustelle. Eigentlich gab es weder Heizung noch Wasser noch sonst irgendwas.
Also eine eher abschreckende Erfahrung?
Ute: Genau. Aber mit ganz viel Elan und der Idee: Wir schaffen da was Gemeinsames. Wir renovieren dieses Haus und wohnen in einem Kollektiv zusammen.
Wie war das Verhältnis zwischen den Geschlechtern dort?
Ute: Die Strukturen waren schon von Männern dominiert, würde ich sagen.
Als ich ins Ritzmannhaus eingezogen bin, waren wir auch nur zwei Frauen. Wir haben - Tatsache - irgendwann mal einen Raum, in dem nur Töpfe und Geschirr waren, die vor sich hin geschimmelt sind, von Dreck befreit, damit wir überhaupt wieder irgend was zum Kochen hatten. Da hat sich niemand drum gekümmert vorher. Genau das gab`s natürlich.
Es waren immer so kleine Kämpfe, die da sehr wohl stattfanden. Also darum: wer macht was und wer beteiligt sich wie? Und ich denke es war auch eine Zeit, wo die Frauenbewegung ja noch gar nicht so weit in der Gesellschaft Fuß gefasst hatte und noch gar nicht so präsent war.
Welche Bedeutung hat diese gesamte Zeit im Rückblick für dich?
Ute: Im Nachhinein habe ich immer gedacht, man kann jüngeren Leuten gar nicht beschreiben, was da war und warum wir das gemacht haben. Ich habe eine Berufsausbildung völlig vernachlässigt, einfach weil ich damals gedacht habe: wir sind so viele und wir können so wirklich die Welt verändern und Weltrevolution machen, dass es irgendwann mal allen richtig gut geht.
Und so sind sind wir da angetreten, um später eigentlich festzustellen: Hat doch nicht so funktioniert, wie wir das gerne gehabt hätten.
Ich denke, es ist auch nicht völlig verloren, aber sozusagen in den Hintergrund getreten. Ja, ich gucke, was ich jetzt in meinem Rahmen machen kann.